Freie Software

07.05.2024 10:03

Warum freie Software nutzen?

Ich gebe mir immer Mühe, privat wie beruflich, stets nur freie Software einzusetzen. Was heisst aber “freie” Software?

Ist die Software frei wenn sie kostenlos ist? Nein, das ist nicht mit “frei” gemeint. Es geht nicht um hohen oder niedrigen Preis. Es geht darum, wie der Benutzer behandelt wird – ob das Programm bereits im Doppelpack mit “Handschellen” ausgeliefert wird, oder ob der Benutzer das Recht bekommt, die Software vollständig zu gebrauchen. So weit wie es eben bei diesem konkreten Programm überhaupt technisch möglich ist!

Daher wäre es vielleicht besser, von befreiender Software zu sprechen. Sie befreit den Benutzer, versperrt ihm nicht den Weg. (sichert ihm wichtige Rechte und Freiheiten zu.)

Ist also dasjenige Programm am “freiesten”, welches die meisten Features anbietet? Die meisten Dateiformate unterstützt? Und somit dem Benutzer mehr Freiheiten gibt, ihn so mehr befreit? Nein, auch das ist nicht mit “frei” gemeint. Wie viele Features ein Programm anbietet, ist nur ein Zeichen dafür, was die Absicht des Entwicklers gewesen ist und wie weit die Entwicklung bereits fortgeschritten ist. Ob ein Feature fehlt, oder ein zusätzliches Feature mehr da ist, ändert nichts daran, wenn das Programm im Doppelpack mit “Handschelen” ausgeliefert wird. Es ändert höchstens etwas daran, wie nützlich dieses konkrete Programm im Moment für dich und mich sein kann.

Wenn weder der Preis, noch die Features ein Programm frei oder unfrei machen, von welcher Freiheit und von welchen “Handschellen” ist dann hier die Rede?

Ganz einfach – ich erkläre es mit einer kurzen Geschichte. Es geht um dich. Beinahe! Es geht um deinen Zwilling, aus einem Paralleluniversum. Aber er ist mehr, als nur dein Zwilling! Er ist so sehr du, wie es jemand überhaupt nur sein kann, obwohl ihr bisher nichts voneinander gehört habt. Stell dir also vor, du würdest diese Geschichte selbst erleben – so kannst du dich perfekt in seine Rolle hineinversetzen, alles wie durch seine Augen sehen, und am Ende die Geschichte sogar selbst beenden!

Stell dir also vor, du lebst in diesem anderen Universum, du bist dein Zwilling. Alles ist so wie hier, beinahe alles. Die Geschichte fängt damit an, dass du zum Multi–Markt gehst, um ein neues Program zu kaufen – die letzte, neueste Version deines Office Pakets von Softbig – SB–Office 2018.

Als du im Multi–Markt angekommen bist, suchst du zuerst die Softwareabteilung. Gehst die Treppen hoch, siehst dir die Menschenmenge an, die sich neben dem Kiosk für die neueste GamePlatform versammelt hat, gehst an der riesigen Säule mit Kopfhörern und konzentriert hinhörenden Käufern vorbei, biegst danach scharf links ab und findest endlich die Regale, die du gesucht hast. Nach den AntiVirus Suites, direkt vor den Betriebssystemen, findest du endlich Office Pakete. Schnell stellst du fest, dass SB–Office 2018 im Vorrat ist – schnappst dir den grossen Karton und gehst zufrieden zurück zur Kasse. Wenn du aber schon an der Kasse stehst und der Mitarbeiter den einzigen Artikel sieht, den du kaufen willst, kommt die Überraschung – die CD ist gar nicht in dem Karton, oder an der Kasse. Die muss erst aus dem Lager geholt werden. Du sollst mitkommen.

Am Softwarelager angekommen, siehst du erst einmal keine Regale voller CDs, sondern zwei Security Mitarbeiter. Was denn nun? Einen Vertrag musst du erst unterschreiben. Bevor du den Vertrag nicht unterschreibst, wird die CD mit SB–Office dir nicht ausgehändigt. Du darfst dem Vertrag widersprechen und ohne das Office Paket nach Hause gehen – oder du kannst dem Vertrag zustimmen und anschliessend deine CD erhalten. Solche Verträge wurden in der Vergangenheit immer digital abgeschlossen, aber anscheinend haben viele Menschen sie einfach nicht gelesen. Ein neues Gesetz aber verlangt, dass die Benutzer unbedingt mit den Bestimmungen des Vertrags bekannt gemacht werden, daher läuft in diesem Multi–Markt ein Pilotprojekt – alle Lizenzverträge werden in gedruckter Form zur Unterschrift vorgelegt, bevor man die Software kaufen kann.

Stirnrunzelnd siehst du dir den Vertrag an – 3 Seiten DIN A4, voller Text, mit Schriftgrösse 9, voller Fachbegriffe und Fachchinesisch, das wohl nur Juristen verstehen könnten. Freundlich bietet dir einer der Securityleute an, den Inhalt des Vertrags zusammenfassend zu erklären. Du nimmst das Angebot dankend an – und der Security Mitarbeiter erzählt dir folgendes:

– Dieser Vertrag regelt die Bedingungen, unter welchen du das SB–Office nutzen darfst und welche Arten von Nutzung dir untersagt sind. An dieser Stelle steht nochmal, ausdrücklich, dass der gesamte Text wichtig ist und, dass dieser Vertrag für dich gilt.

“Ob er für Softbig auch gilt?” – fragst du dich in Gedanken.

– Für den Anfang ist es wichtig zu wissen, ob dein Hauptwohnsitz in den Vereinigten Ländern von Vespika liegt, denn dort residiert Softbig. In diesem Fall gilt: falls du unzufrieden mit einem Produkt von Softbig bist, und mehrere andere Benutzer kennst, die deine Meinung teilen, darfst du keine Sammelklage gegen Softbig einreichen.

Datenerhebung ist für Softbig sehr wichtig. Deswegen sollst du wissen, dass je nach verwendetem Produkt und Feature, bestimmte personenbezogene Daten über dich gesammelt werden können. Das sind z.B.: – Name und Kontaktdaten. – Anmeldeinformationen. – Alter, Geschlecht, Land und deine bevorzugte Sprache. – Nutzungsdaten (welches Feature wird genutzt, wie oft, werden Einkäufe getätigt, was wird gekauft, etc.). – Daten über deinen PC, Konfigurationsdateien, Betriebssystem, andere installierte Software. – Interessen und Favoriten – bis hin zur Lieblingsmannschaft für beliebige Sportarten. – Kontakte und Beziehungen. – Positionsdaten (manchmal sind diese noch ungenau, d.h. es wird nur die Stadt oder ein grösserer Umkreis in dem du dich befindest erfasst). – Inhalte von Dateien. – usw. …

– Augenblick mal! – protestierst du lautstark, – ist das alles wirklich notwendig, damit ich SB–Office nutzen kann? Ich will nur ein Office Paket, wieso werden denn auf einmal meine Kontakte und Beziehungen erfasst, warum sind meine Interessen und Favoriten wichtig?

Darauf sagt dir der freundliche Security Mitarbeiter:

– Natürlich sind nicht alle diese Informationen für die Nutzung von SB–Office nötig. Es ist ja auch nur eine vollständige Liste aller möglicherweise erhobenen Daten. Sie gilt für alle Produkte von Softbig, als Ganzes. Bei dem Office Paket wird nur ein Teil davon erhoben werden – z.B. gleich jetzt, wenn du unterschreibst, wird dein Name und deine Adresse gespeichert.

– Was steht denn noch so alles drin in dem Vertrag? – fragst du und denkst dir, dass es früher immer einfacher gewesen ist, Lizenzverträgen zu zustimmen.

Der Security Mitarbeiter erklärt dir dann, dass weiter im Vertrag die Nutzungsbestimmungen folgen. Du musst damit einverstanden sein, dass du nicht das Programm als solches erwirbst, sondern nur ein eingeschränktes Nutzungsrecht. Du darfst es z.B. nur auf einem Computer installieren, wenn du aber weitere Computer dazu nehmen willst, kostet es nochmal extra.

Du willst daraufhin wissen, ob du dann vielleicht eine neue CD für jeden weiteren Computer bekommst – aber nein, so ist es nicht, es wird dieselbe CD benutzt, nur ein anderer Aktivierungscode kommt zum Einsatz. Und übrigens – das Aktivieren ist ein wichtiger Schritt. Ohne die Aktivierung über das Internet oder Telefon lässt sich SB–Office nur für ein Paar Tage nutzen, danach macht sich das Programm von alleine unbenutztbar.

Entmutigt fragst du, ob das denn schon alles sei. Und tatsächlich, es ist auch schon fast alles – nur noch zwei Kleinigkeiten. Man darf keine Kopien von der Software anfertigen und man darf sie nicht verändern. Jeder Versuch SB–Office anzupassen, oder seine Arbeitsweise auch nur zu verstehen oder zu studieren, sei illegal und strafbar.

Nun stehst du da und fragst dich, wieso du noch nie gewusst hast, was dieser Vertrag beinhaltet, obwohl du SB–Office doch schon vorher kanntest. Es wäre ja viel einfacher gewesen, unwissend zu unterschreiben. Aber jetzt willst du dem Vertrag überhaupt nicht mehr zustimmen. Andererseits, brauchst du SB–Office schon.

– Kommen denn viele Leute bei Ihnen vorbei? – fragst du vorsichtig. Es stellt sich heraus, dass es wirklich viele sind. Und alle wollen dieses oder jenes abholen, unterschreiben die Verträge und kriegen die Programme. Der Security Mitarbeiter blättert vor, zur letzten Seite, da wo die Unterschrift hingehört, und holt einen Kugelschreiber raus. Dann sieht er, dass du immer noch zögerst und fragt, ob denn alles in Ordnung sei.

– Gibt es keine andere Möglichkeit? – fragst du, – Ich weiss nicht so recht, ob ich diesem Vertrag zustimmen kann.

Du kannst es zuerst kaum glauben, aber eine andere Möglichkeit gibt es durchaus, wie es sich herausstellt.

– FreeOffice – sagt der Security Mitarbeiter schulterzuckend.

Auf die Frage was es bedeutet, erklärt er, dass es einfach ein Suchbegriff ist. Ein Suchbegriff für gogoduck, die Suchmaschine im Internet. So würdest du die Webseite des Projekts finden, wo man FreeOffice herunterladen kann.

Ob es da auch einen Vertrag gäbe? Ja, natürlich, den gäbe es immer. Einen ganz einfachen sogar. Der Vertrag von FreeOffice sichert dem Benutzer all die Freiheiten zu, die der Vertrag mit Softbig einem nicht gibt – z.B. das Recht FreeOffice so oft zu installieren wie man möchte. Das Recht FreeOffice zu studieren, seine Funktionsweise zu verstehen und zu verändern. Und das Recht es zu kopieren und die Kopien weiter zu geben. Eine Aktivierung bei FreeOffice? Fehlanzeige. Datenerhebung? Ist auch nicht drin.

Du stehst also da, total perplex und siehst den Security Mitarbeiter an. Will er dich vielleicht auf den Arm nehmen? Wie kann so etwas sein? Ein kostenloser Ersatz für SB–Office, mit einem vernünftigen Vertrag? Es muss da doch einen Haken geben, wer würde denn sich jemals für etwas anderes als FreeOffice entscheiden wollen?

– FreeOffice hört sich natürlich gut an, so weit, – sagst du nachdenklich, – aber es muss da bestimmt etwas geben, was FreeOffice nicht so gut kann, denn sonst könnte SB–Office gar nicht eine solche Konkurenz aushalten. Da es aber weiterhin zum Verkauf steht, ist es ziemlich sicher sogar, dass FreeOffice gar nicht so gut sein kann – sonst wäre Softbig längst pleite. Wo ist also der Haken?

Nun, Haken gibt es da viele, wie du erfährst. Zunächst einmal sind alle Knöpfe in dem Interface etwas anders positioniert, sie sehen leicht verändert aus und haben teilweise andere Namen. Bestimmte Dateiformate, die von Softbig für SB–Office erfunden worden sind, können nicht zu 100% unterstützt werden, da diese Formate von Softbig geheim gehalten werden und ausserdem besonders komplex gestaltet sind. Sie enthalten sehr viele Ausnahmen, um theoretische Kompatibilität zu exotischer, alter Software zu erhalten. Wenn man also eine Datei mit SB–Office erstellt und sie dann in FreeOffice ansieht, sind alle Elemente nicht immer an ihrem Platz, sondern manchmal leicht verschoben.

– Aber ist das denn auch wirklich alles? – willst du wissen, – es muss doch etwas geben, was SB–Office kann, was unter FreeOffice unmöglich ist? SB–Office muss besser sein!

Aber der Security Mitarbeiter verneint und ist sich sicher, so etwas gibt es nicht. Nur beim Wechsel von einem Office auf das andere kann die Formatierung manchmal abweichen. Sonst gäbe es da nichts. Alle Aufgaben können sehr gut mit FreeOffice erledigt werden.

– Du kannst FreeOffice herunterladen und vergleichen, – schlägt der Security Mitarbeiter vor, – das kostet ja nichts.

Nun bist du noch mehr verunsichert. Du weisst endgültig nicht mehr, was du tun solltest. Du hast das Geld dabei. Du könntest den Vertrag unterschreiben und SB–Office abholen, für das du den ganzen Weg zum Multi–Markt gefahren bist. Oder du könntest nach Hause fahren und FreeOffice herunterladen. “Schaden kann es ja nicht”, denkst du dir. Auf der anderen Seite, kannst du es nicht so recht glauben, dass es so gut sein soll, dass alle Aufgaben damit erledigt werden können.

An dieser Stelle, glaube ich, hast du dich schon so weit in deinen Zwilling hinein versetzt, dass du die Geschichte selbst weiter schreiben kannst. Ob der Vertrag mit Softbig unterschrieben wird oder nicht, diese Entscheidung überlasse ich dir und so hat diese Geschichte ein offenes Ende!

P.S.

Diese kleine Geschichte ist frei erfunden. Die Namen von Elektronik Fachmärkten, Herstellern und ihren Produkten sind auch frei erfunden und alle Ähnlichkeit mit echten Fachmärkten, Firmen und ihren Produkten rein zufällig. Die Bestimmungen des Vertrags der in dieser Geschichte vorkommt, sind jedoch real. Sie sind 1:1 echten Lizenzvereinbarungen sowie der dazugehören Datenschutzerklärung entnommen und sind in keiner Weise zum Original verändert – nur stark gekürzt, eigentlich gibt es da noch viel mehr.

Die Bewegung für freie Software ist eine Bewegung für freie (den Benutzer befreiende) Lizenzen. Es geht in erster Linie darum, wie die Programme verbreitet werden, unter welcher Lizenz und mit welchen Bedingungen. Das ist der entscheidende Punkt für diese Bewegung. Die ungerechte Behandlung der Benutzer, legalisiert durch proprietäre Lizenzverträge, soll aufhören und die proprietären Lizenzverträge sollen nicht mehr der akzeptierten Standard in unserer Gesellschaft sein. Firmen und Großkonzerne sollen nicht die Kontrolle über unsere Computer haben, sondern die Benutzer sollen selbst das Recht haben, ihre Computer vollständig zu kontrollieren. Es geht dabei nicht in erster Linie um irgendwelche praktischen Vorteile von offenem Quellcode (obwohl es solche Vorteile gibt) und schon gar nicht um kostenlos verfügbare Programme. Manche proprietäre Programme sind kostenlos verfügbar (s.g. Freeware) und obwohl deren Entwickler meist keine bösen Absichten hegen, tragen solche Programme zur allgemeinen Akzeptanz des proprietären Lizenzmodels bei. Dieses Lizenzmodel macht Programme auf künstliche Weise rar, denn freie Software verbreitet sich grundsätzlich leichter und schneller – so wird die Vorstellung unterstützt, dass Kopien einer bereits geschriebenen Software irgendeinen hohen Wert haben, der über das simple Copy–Paste Verfahren hinausgeht.